Dr.
Sofia J.
van Moorsel

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Blogpost Diversität im Irchelpark

Biodiversität in der Stadt – Warum bei der Parkpflege weniger mehr ist

Wildtiere leben nicht nur in der Wildnis fernab der Menschen und der Zivilisation. Ganz im Gegenteil. Auch in den Städten gibt es eine beachtliche Diversität an Wildtieren, die sogenannte urbane Biodiversität. Wie kann man diese erhalten und fördern? Wir zeigen es hier am Beispiel Irchelpark.

Die urbane Biodiversität braucht trotz städtischem Leben etwas Unordnung und Wildnis. Gleichzeitig will die Bevölkerung Ordnung in den öffentlichen Pärken, gepflegte Landschaften und herausgeputzte Gärten. Die Menschen wollen möglichst viel Laub blasen, rechen, schneiden und wischen. Die Tiere hätten es aber lieber, die Landschaftsgärtner kämen nur ganz selten vorbei. Dieser Interessenskonflikt wird im Irchelpark in Zürich deutlich, doch er existiert auch in privaten Gärten, Liegenschaften und Überbauungen und andere kleineren und grösseren Stadtpärken.

Der Irchelpark wurde Anfang der 1980er-Jahre erstellt und erfreut sich seither bei der Zürcher Bevölkerung grosser Beliebtheit. Als Teil des Irchel Campus der Universität Zürich befindet er sich oberhalb einer stark befahrenen Strasse, rund um die Gebäude der Universität und in der Nähe des Waldes.

Karte: Swiss Topo

Im Irchelpark hat es Wiesen, die dazu einladen, Fussball zu spielen oder im Sommer ein Sonnenbad zu nehmen. Es hat Steine zum Klettern für die Kinder, ein dichtes Netz an Spazierwegen und sogar eine Finnenbahn für die sportlichen Parkbesucher. Hunderte von Studierenden und Forschenden gehen auf dem Weg zur Arbeit oder in den Hörsaal jeden Tag durch den Park. Den meisten fallen sicher die gefrässigen Tauben oder die lauten Krähen auf. Aber welch grosse Diversität im Park lebt, ist wohl den wenigsten bewusst.

Im Park leben auch seltene Vögel

Dank dem Irchel Nature Trail, einem Netz von Informationstafeln, die 2019 errichtet worden sind, wurde die Bevölkerung zumindest teilweise darauf sensibilisiert. Die Wissenstafeln ermuntern die Parkbesucher, Tiersichtungen in der Smartphone-App iNaturalist zu notieren. Basierend auf diesen Daten hat das Team des Science Labs an der Universität Zürich im Sommer 2021 eine Analyse der Vogelbeobachtungen gemacht.

In der Tabelle sind alle iNaturalist Beobachtungen aufgelistet. Daten: UZH Science Lab/iNaturalist

Die Analyse der Sichtungen hat gezeigt: Der Irchelpark weist eine hohe Diversität an Vogelarten auf. So wurden hier schon 36 Arten auf iNaturalist eingetragen. Eine beachtliche Zahl! Die iNaturalist-Daten entsprechen aber nur einem Teil der tatsächlichen Vogelvielfalt im Park. In den letzten 20 Jahren wurden nämlich beinahe 100 Vogelarten im Park gesichtet. Darunter befinden sich auch Arten, die von der Vogelwarte als verletzlich, potenziell gefährdet oder stark gefährdet eingestuft werden. Dazu gehören der Mauersegler, die Lachmöwe, die Mehlschwalbe, der Turmfalke und der Gänsesäger. Der Gänsesäger gilt beispielsweise als verletzlich, denn in der Schweiz gibt es nur noch 500–700 Brutpaare. Die Lachmöwe ist in der Schweiz sogar stark gefährdet.

Kannst du ein paar der Vögel, die im Irchelpark leben, entdecken? Klicke auf die Augenbuttons, um sie zu entdecken. (Vogelartenfotos: Wikimedia Commons)

Laut dem Science Lab der Universität Zürich zeigt das Vorkommen einiger potenziell gefährdeten oder verletzlichen Vogelarten, dass der Park für Vögel ökologisch sehr wertvoll und er dementsprechend schützenswert ist. Diese Vielfalt an Vögeln könnte allerdings noch verbessert werden und den gefährdeten Arten könnte der Irchelpark ein wertvolles Rückzugsgebiet sein. Doch stehen dem verschiedene Faktoren im Weg. Zum einen gibt es da die frei laufenden Katzen, die Vögel, aber auch Reptilien und Amphibien jagen. Andererseits wird der Park nach den Bedürfnissen der Menschen und nicht nach denen der Tiere gepflegt. Die Ökologinnen empfehlen, dass geeignete Massnahmen ausgearbeitet werden, damit die hohe Diversität erhalten bleibt. Das Gute an diesen Massnahmen: weniger ist mehr! Das heisst, je weniger gegärtnert wird, desto besser für die Tiere. Es braucht Mut zur Unordnung.

Unordnung fördert die Vielfalt im Stadtpark

Unordnung im Park heisst Platz für Wildtiere. Ungemähte Wiesen bilden die Grundlage für Bienen und andere Bestäuber im Frühling. Umgefallene Bäume verfaulen langsam, das Totholz bietet Insekten Unterschlupf und die Insekten sind die Nahrung von Vögeln. Laub- und Asthaufen sind Winterquartiere für kleinere Wirbeltiere. Dichtes Schilf bietet Verstecke an und ist essenziell für einige Vögel zum Brüten. Zum Beispiel kommt im Park der Teichrohrsänger vor, der im Schilf brütet. Auch andere Parkbewohner, wie die Haubentaucher und Tauchhühner, bauen ihre Nester gerne im dichten Schilf.

Der Irchelpark hat sich in den Jahrzehnten seit seiner Entstehung stark gewandelt. Die Bäume und Gebüsche sind gewachsen und mit dem Wachstum der Vegetation nahm auch die Vielfalt der Tiere zu. Ziehe den Slider, um den Park anfangs 1980er Jahre mit 2022 zu vergleichen. Fotos: Baugeschichtliches Archiv, Kimberley Lemmen

Doch jeden Winter wird im Irchelpark ein Grossteil des Schilfes geschnitten. Gleichzeitig werden viele Büsche und Hecken radikal gestutzt und totes Holz systematisch entfernt. Zurück bleibt ein viel kleineres Rückzugsgebiet für Vögel, Insekten und andere kleine Tiere. Auf Anraten von Ökologinnen und Expertinnen der Universität Zürich, lassen die Gärtner neu die Hälfte des Schilfes stehen. Auch der Mensch profitiert, denn die beigen Schilfblüten sehen auch im Winter schön aus. In der Bildergalerie siehst du im Detail, wie das Schilf geschnitten wurde und wo es noch steht.

Experten sind sich aber einig, dass es für die Vögel am besten wäre, wenn man alles Schilf stehen lassen würde. Andere Massnahmen könnten sogar neue Vogelarten anlocken. So gibt es aktuell kaum Spechte im Park, da sämtliche Bäume im Park schlichtweg zu jung sind. Wichtig ist, dass die ältesten Bäume, die es seit Parkbeginn gibt, jetzt stehengelassen werden, auch wenn sie nicht mehr so jung und frisch daherkommen. Das Stehenlassen von Schilf und Bäumen – also das Nichtstun – ist ein wichtiger Schritt in Richtung mehr Unordnung und Biodiversität im Park!

Was kannst du tun?
Etwas mehr Wildnis ist nicht nur im Stadtpark wünschenswert, sondern auch in privaten Gärten. Wildtiere sind darauf angewiesen, dass ihr Lebensraum möglichst gross, aber eben auch gut vernetzt ist. Diese Vernetzung funktioniert mittels kleineren Gärten, grünen Bereichen in der Stadt und Biodiversitätsoasen. Willst du, dass dein Garten auch zu dieser Vernetzung beiträgt und Vögeln und anderen Wildtieren einen Rückzugsort oder Jagdort bietet? Wie auch du deinen Garten besser gestalten kannst, um die Vielfalt zu fördern, erfährst du zum Beispiel hier. Die Grundregel bleibt aber immer gleich: Weniger ist mehr.

Bildnachweis
Graureiher: kuhnmi, CC BY 2.0 https://creativecommons.org/licenses/by/2.0, via Wikimedia Commons
Stockente: Enrico Mevius, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons
Stieglitz: © Francis C. Franklin / CC-BY-SA-3.0, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons
Mauersegler: Keta, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons
Lachmöwe: Wald1siedel, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons
Blässhuhn: Philippe Amelant, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons
Teichrohrsänger: PeterRohrbeck, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons
Irchelpark Foto schwarz/weiss: Michael Wohlgensinger, Stadt Zürich Baugeschichtliches Archiv, https://baz.e-pics.ethz.ch/catalog/BAZ/r/223973
Foto vom Park: Kimberley Lemmen, Universität Zürich

Alle Bilder ohne Nachweis: Sofia van Moorsel

Diese Geschichte schrieb ich im Rahmen des Moduls "Multimedia Workshop" des CAS Wissenschaftsjournalismus 2021/2022.